Hochwasserkatastrophe im Juli 1955
-Teil 2-
Die Situation im Tagebau
„Wasser ist der größte Feind des Bergbaus!“
Diese Behauptung stammt aus der Zeit der Kohlegewinnung in untertägigen Bergwerken und wurde auch in Harbke Bergleuten zum Verhängnis.
Ein Tagebau sorgt zwar durch mittels Pumpen betriebene Wasserhaltungen, Entwässerungsgräben und Filterbrunnen für eine möglichst geringe negative Beeinflussung der Grund- und Oberflächenwässer auf die bergbaulichen Arbeiten, kann sich jedoch vor plötzlichen und mächtigen Unwetterkatastrophen mit großen Regenmengen auch nicht schützen.
Das Unwetter in der Nacht vom 29. zum 30. Juli 1955 traf deshalb den am Harbker Ortsrand liegenden Tagebau Wulfersdorf mit voller Wucht.
Bereits gegen 21:00 Uhr musste der gesamte Abraum- und Grubenbetrieb eingestellt werden. Ca. 40 m³/min an Wassermassen waren aus dem gebrochenen Mühlenbach in den Tagebau gestürzt und hatten die Zufahrten zu den Baggern und Absetzern so stark unterspült, dass ein Befahren unmöglich geworden war.
Die Gleisanlagen auf den Rampen waren nach Unterspülungen und angeschwemmten Erdmassen unbrauchbar geworden. Die in den Tagebau geflossenen Wassermengen hinterließen in den Böschungen große Ausbrüche und bildeten im Muldentiefsten einen großen See.
Auch an der Ostseite des Tagebaus brach der Mühlenbach auf einer Länge von 6 Metern. Die schmutzgrauen Fluten ergossen sich auf das nebenliegende Bruchgelände und hinterließen einen großen See. Von den auf dem Gelände befindlichen Schrebergärten waren nur noch die Baumkronen zu sehen.
Dem Hilferuf folgend, eilten 400 Helfer zur Durchbruchstelle und schlossen, mit Hacken, Schaufeln und Spaten bewaffnet, den gebrochenen Damm. Noch am gleichen Tage gingen an dieser Stelle 5.000 m³ des Geländes zu Bruch und 10.000 m³ Wasser ergossen sich in die alten darunter liegenden Grubenbaue. Dabei rissen sie Zäune, Lauben und Kleinvieh mit sich und hinterließen einen riesigen Trichter.
Mit der Soforteinleitung einer Reihe notwendiger Maßnahmen konnten die im Tagebau aufgetretenen erheblichen Schäden schnell behoben werden.
Gleichzeitig wurden Voraussetzungen geschaffen, die der Vorbereitung auf evtl. ähnliche extreme Unwetter diensten.
Da der Mühlenbach in seinem Verlauf auch BRD-Gebiet passierte, war es notwendig, sich mit den Braunschweigischen Kohlenbergwerken (BKB) abzustimmen, was auch mit sofortiger Hilfe beantwortet wurde.
Am 02. August 1955 konnte bereits wieder der Grubenbetrieb in beschränktem Umfang aufgenommen werden. Der erste Abraum wurde einen Tag früher gebaggert und diente ausschließlich der Wiederherstellung der Zufahrten.
An dem Erfolg der Maßnahmen hatten gleichermaßen die Einheiten der Deutschen Grenzpolizei, der Freiwilligen Feuerwehr sowie der Belegschaften von Tagebau, Verwaltung und Brikettfabrik großen Anteil.
Seit der Unwetterkatastrophe vor 60 Jahren ist es nur hin und wieder zu ähnlichen Situationen gekommen, die aber in wesentlich abgeschwächter Form auftraten. Dank vorbereiteter Maßnahmen und sofortigem Einschreiten richteten sie keine nennenswerten Schäden an.
Dennoch sollten seitens der Wasserbehörden und des Nachfolgeunternehmens des Braunkohlewerkes Harbke, der LMBV, solche Unwetter mit einkalkuliert werden, wenn es um die endgültige Gestaltung der Wasserabführung über den Mühlenbach geht.
So sollten vor allem bei der Öffnung des südlichen Bachlaufes und erforderlicher Dammdurchlässe im Planfeststellungsverfahren entsprechende Durchlässe berücksichtigt werden, die den Ort Harbke und das künftige Naherholungsgebiet Lappwaldsee vor Schäden bewahren.
Quellen:
- Kurzer Abriss der Unwetterkatastrophe in der Nacht vom 29.07. – 30.07.1955, Projektbüro Kohle Berlin (1955)
- „Volksstimme“, Harbke im Wandel der Zeiten, Ammann (1955)
Foto Tagebau:
- Einer der Ausbrüche, die die Gleisanlage zur Grube unbefahrbar machte