Samstag, 30. Mai 2015

HARBKE „LAND UNTER!“ (1)


Hochwasserkatastrophe im Juli 1955
-Teil 1-
Zur 975jährigen Geschichte des Ortes gehört auch jene schreckliche Hochwasserkatastrophe, die vor exakt 60 Jahren die Region, insbesondere aber die Gemeinde Harbke in Atem hielt.
Wir schreiben den 29. Juli 1955. In Harbke ist man an diesem Freitagabend wie immer und überall in Gedanken schon an ein geruhsames Wochenende.
Doch die Augen der Bevölkerung richten sich sorgenvoll zum dunklen wolkenbehangenen Himmel. „Nur nicht wieder solch ein Wolkenbruch wie im Juni des Vorjahres, als der Mühlenbach in Tagebaunähe sogar über die Ufer trat!“ Mit solchen oder ähnlichen Stoßseufzern war wohl mancher Harbke ins Bett gegangen, in der Hoffnung, an einem strahlenden Samstagmorgen wieder aufzuwachen.
Es war gegen 20:00 Uhr, als das von vielen befürchtete Unwetter über Harbke losbrach. Doch es sollte viel viel schlimmer werden.
Die von Nordosten hereinjagenden dunklen und schweren Wolken überquerten den Rodenberg und den Blauen Berg und entluden sich mit grellen Blitzen und ohrenbetäubendem Donner im Harbker Talkessel. Innerhalb kurzer Zeit verwandelten sich die Bergeinschnitte Floridatal und Bärengrund in reißende Bäche. Alle Harbker Einwohner riss es aus den Betten. Ein solches Szenario hatte bisher noch keiner von ihnen erlebt. Bis in die Morgenstunden des 30. Juli goss es ununterbrochen wie aus Kübeln. 61,5mm/m² wurden in 12 Stunden gemessen. Ein Wert, an den sich keiner innerhalb der letzten 30 Jahre erinnern konnte.
Gegen 04:00 Uhr hieß es: „Harbke – Land unter!“
Der erste Hilferuf des Harbker Bürgermeisters Rudi Wiese erreichte die Kreisleitung in Oschersleben und löste eine beispiellose Welle von Hilfsmaßnahmen aus, die auch bitter nötig waren.
Die Situation im Ort
Schwerpunkt in der Gemeinde selbst war der Schwarzkuhlenteich mit seiner niedrigen Böschung zum Gutshof und der Morslebener Straße. Die Wassermengen aus Richtung Burgberg und Floridatal brachten den Teich zum Überlaufen. Das Wasser strömte über den Gutshof und die Morslebener Straße in Richtung Dorfmitte.
Zum Zeitpunkt des Hilferufes stand dort bereits das Wasser knietief.
Pferdeteich und Mühlenteich konnten diese Wassermassen nicht aufhalten, so dass sie in einem breiten Strom durch die Hauptstraße (heute Halberstädter Straße) flossen und die Goethestraße überfluteten.
Die Harbker Bauern und Einwohner versuchten verzweifelt das Vieh in Sicherheit zu bringen. Dazu mussten Schweine, Schafe und Ferkel durch die Fluten getragen werden. Der Betriebsschutz des Tagebaues, die Freiwillige Feuerwehr und die Kumpel der Brikettfabrik Völpke halfen dabei, so dass nicht ein einziges Ferkel oder Schaf im Wasser umkam.
Um die vom Floridatal ankommenden Wassermassen anzustauen, wurde in aller Eile ein jahrhunderte alter, längst vergessener Staudamm mittels Planken, Bohlen und Pfählen verstärkt und verbreitert, so dass ein Teil des Wassers bis zur Trift aufgefangen werden konnte.
Trotzdem drohten die Gebäude der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) und das ev. Gemeindehaus abzusaufen.
Hier war es einmal mehr der Werkleiter des Braunkohlenwerkes, Friedrich Nicklisch, der sich, unter Missachtung drohender Gefahren, in die reißenden Fluten stürzte und die behelfsmäßige Vermauerung des Joches unter der Mühlenteichbrücke durchstieß, so dass das Wasser stärker abfließen konnte.
Übrigens:
Friedrich Nicklisch verlebt heute mit seiner Gattin im Senioren-Domizil Kursana in Markkleeberg seinen wohlverdienten Ruhestand. Er begeht am 18. Juni diesen Jahres seinen 90. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch dazu von all denjenigen, die ihn noch aus jener Zeit kennen und wissen, welch großen Anteil er an der Entwicklung der Gemeinde hat.
Die aus Richtung Burgberg und Floridatal auf den Ort stürzende Flut war nur ein Teil der Hochwasserkatastrophe. Auch aus Richtung Blauer Berg und Bärengrund schoss das Wasser zu Tale und überschwemmte die Sommersdorfer Straße bis zum Kaufladen von Hermann Pieper, der tiefsten Stelle des Ortes.
Alle Keller standen unter Wasser und wo die Fluten hinströmten, schwemmten sie die von den Äckern gespülten Bodenmassen mit.
Egal ob Einwohnerschaft, Grenzpolizei, Freiwillige Feuerwehr oder die Belegschaft der ansässigen Betriebe; alle halfen mit bewunderungswürdigem Einsatz mit, die Schäden schnellstens zu beseitigen und notwendige Schutzmaßnahmen einzuleiten.
Fotos:
  1. ohne Gummistiefel war der Einkauf im Kaufhaus Hermann Pieper nicht zu denken
  2. Auf der ganzen Breite der Hauptstraße durchfloss das Wasser den Ort


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