Sonntag, 17. Juli 2016

GROSSGERÄTE-TRANSPORT (1)


Vor 32 Jahren ging es...

„mit über 6000 Tonnen Stahl quer durch die Börde!“

Tagebau-Großgeräte-Transport von Harbke nach Nachterstedt

Teil 1




Spätestens nach der Gewinnung des Grenzkohlepfeilers und der Restkohle aus dem Muldentieftsten war das Ende der 80jährigen Geschichte des Tagebaues Wulfersdorf bei Harbke besiegelt.

Der Raubbau der Braunkohle des Grenzpfeilers zur schnelleren Abwicklung der zwar wirtschaftlich wichtigen, politisch aber riskanten und historisch einmaligen Maßnahme bei offener Grenze, führte zur vorzeitigen Erschöpfung der Kohlenvorräte im Jahre 1989.

Das bedeutete für die Bagger und Absetzer des Tagebaues und deren Besatzungen eine zwar vorhersehbare, aber dennoch schmerzliche Tatsache, hier in Harbke nicht mehr gebraucht zu werden.

Für die Großgeräte Bagger 1420 und Absetzer 1074, deren Aufgabe es war, den Abraum zu gewinnen, war jedoch bereits 5 Jahre früher dieser Zeitpunkt erreicht.

Wohin aber nun mit den beiden riesigen Stahlmonstern, auf die in den vielen Jahren ihres Einsatzes in Harbke immer Verlass war und die gewährleisteten, dass die Versorgung von Industrie und Bevölkerung mit festen Brennstoffen immer klappte?

VERSCHROTTEN???
Nein, dazu waren Bagger und Absetzer mit Baujahren zwischen 1957 und 1961 noch zu unverbraucht. Da schien ein Einsatz im Tagebau Schadeleben bei Nachterstedt viel sinnvoller, da eben dort diese Geräte für den Aufschluss benötigt wurden.

Doch da gab es eine entscheidende Tatsache, die diesem Vorhaben entgegenstand und den Verantwortlichen große Kopfschmerzen bereitete. Zwischen Harbke und Nachterstedt lagen rund 70 Kilometer Entfernung, die es zu bewältigen galt.

Als eine mögliche Variante hätte man die Geräte in Harbke demontieren, per Bahn oder LKW nach Nachterstedt transportieren und dort wieder montieren können, was aber aus zeitlichen wie ökonomischen Gründen rasch verworfen werden musste.

Also entschied man sich für den Transport der Geräte „zu Fuß“, d.h. mit Hilfe der eigenen Fahrwerke.
Solcherlei Transporte sind in einem Tagebau zwar keine Seltenheit, beschränken sich jedoch auf kurze Entfernungen und ohne große Steigungen und Hindernisse.
Der zur Disposition stehende Landtransport war jedoch um ein Vielfaches länger und gespickt mit Hindernisse, wie Straßen, Bahngleise, Gräben und Flüssen.

Doch die Harbker Bergleute wären keine Bergleute, wenn sie vor einem solchen Vorhaben kapituliert hätten.

Nach Abwicklung aller notwendigen Vorbereitungen, wie die Klärung der Geländedurchfahrten mit der Land- und Forstwirtschaft, Terminabsprachen mit Polizei und Reichsbahn sowie einer gründlichen Reparatur der Geräte, erfolgte am 01. August 1984 der erste von zwei Transporten mit je zwei Tagebaugeräten, die mit der Ankunft in Nachterstedt erfolgreich beendet werden konnten.

Unter der Stabführung des Harbker Bergbauingenieurs Rolf Siegel steuerte ein ausgesuchtes Team erfahrener Bergleute und Mechaniker, begleitet von einem Tross an Versorgungs- und Unterkunftswagen sowie diverser Hilfsgeräte den Schaufelradbagger 1420 und den Absetzer 1074 über eine eigens dafür angelegte Rampe aus dem Tagebau.

Während der Bagger mit einem Dienstgewicht von 1963 Tonnen sich mittels seinen riesigen Raupenfahrwerken kontinuierlich vorwärts bewegte, mussten beim schienengebundenen Absetzer (Dienstgewicht 1130 Tonnen) die Gleisroste laufend hinter dem Gerät abgebaut und vor dem Gerät wieder montiert werden.

Für den nötigen Abtriebstrom sorgten dabei ein mitfahrendes großes Dieselaggregat und weitere Notstromaggregate. Außerdem waren 4 Planierraupen, 4 Zugmaschinen, 3 Raupendrehkräne, 3 LKW’s sowie Tankanhänger und Küchenwagen im Einsatz.

Nach Erreichend er Oberkante des Harbker Tagebaus musste erst die Kohlebahn Harbke-Brikettfabrik Völpke und danach die Straße zwischen Harbke und Sommersdorf überquert werden. Dabei war vor allem ein ausreichendes Abdecken der Gleise und der Straße von Nöten, um beim Überfahren keine Schäden zu verursachen.

Mit großer Anteilnahme der Bevölkerung überfuhren dann beide Großgeräte das Wirbketal und den Bachlauf, der vorher vorsorglich verrohrt und mit Erde abgedeckt war.

In der Folge musste abgeerntete Felder und ausgeholzte Waldstücke des Lappwaldes und des Hohen Holzes überquert werden, bevor auf die Crew des Transportes mit der Reichsbahn- und Bodeüberquerung bei Hadmersleben eine besondere Herausforderung wartete.

In Abstimmung mit der Reichsbahn konnten die Gleisanlagen der Strecke Magdeburg – Halberstadt ohne jegliche Beeinträchtigung des Zugverkehrs passiert werden.

Eine Baustelle der besonderen Art bedeutete das Überfahren der Bode. Unter den Augen vieler Zuschauer befuhren im Schneckentempo die beiden Tagebauriesen den aufgeschütteten Damm, der mit Betonröhren versehen war, durch die die Bode ohne jeden Stau fließen konnte.

Diesem Ereignis wohnten auch ehemalige Mitarbeiter des Braunkohlenwerkes bei, die diese Gelegenheit wahrnahmen, um sich im Kreise alter Bergbau-Veteranen auszutauschen.

Nach erfolgreicher Bewältigung dieser Hindernisse war das Überfahren der heutigen Bundesstraße 81 bei Kroppenstedt und des Petersholzes sowie die Hakelabfahrt bei Hakeborn eine der inzwischen zur Gewohnheit gewordenen Arbeiten.

Ständiger Begleiter des Transportes war übrigens ein sogenanntes „KIELSCHWEIN“ namens „Ottilie vom Lande“. Das als Ferkel mit einem Gewicht von 53 kg von Badeleben bis Nachterstedt mitgereiste Borstentier galt als besonders faul und gefräßig und vertilgte während des gesamten Transportes alles, was von der Belegschaftsverpflegung übrig blieb. Am Schluss der Fahrt hatte es das nötige Gewicht, um in Form von Fleisch und Wurst anlässlich eines zünftigen Schlachtfestes verspeist zu werden.

Am 23. November 1984 erreichten 17 Tage vor dem geplanten Ablauf der Frist beide Geräte ihren künftigen Arbeitsplatz, den Tagebau Schadeleben bei Nachterstedt.

Dabei sei noch bemerkt, dass der Transport ohne einen meldepflichtigen Unfall und ohne Havarien verlief.

Anmerkung:
Mehr zur Vorbereitung und Durchführung des Gerätetransportes anhand umfangreichen Bildmaterials kann der Broschüre „Geschichte(n) in uns um Harbke herum“ 13. Teil, des Arbeitskreises Tourismus und Ortsentwicklung Harbke entnommen werden.

In einer der nächsten Ausgaben des Oberer Aller Reports wird der Transport der übrigen Geräte Bagger 1433, Bagger 310 und Absetzer 984 beschrieben.



Rudolf und Roland Rohr





Foto:
Archiv BKW Nachterstedt

Unbeschadet absolvierte der Schaufelradbagger „zu Fuß“ die Strecke von Harbke bis Nachterstedt (70 km) um im dortigen Tagebau Schadeleben wieder von in Einsatz zu kommen.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen