Mittwoch, 14. September 2016

GROSSGERÄTE-TRANSPORT (3)


MIT ÜBER 6.000 TONNEN STAHL QUER DURCH DIE BÖRDE

Teil 3


Ein transporttechnisches Meisterstück findet seinen Abschluss



Das für unser Land so bedeutsame Jahr 1989 mit dem Fall der Mauer und der folgenden Wiedervereinigung bedeutete gleichzeitig auch das Ende der Braunkohlen-Ära im Tagebau Wulfersdorf bei Harbke.

Mit dem letzten Kohlezug am 29. Mai 1989 schloss der Betrieb seine Pforten. Eine für die Region schmerzhafte aber vorhersehbare Tatsache, die sich im Erschöpfen der hiesigen Kohlevorräte begründete.

Übrig blieb nur der Rückbau der Anlagen und Geräte, die teils umgesetzt bzw. verschrottet wurden.

Doch für zwei der noch verbliebenen Großgeräte gab es Verwendung im Schwesterwerk Nachterstedt. Es handelte sich dabei um den Eimerkettenbagger 310 ERs 560 und den Schaufelradbagger1433 SRs 630/800.

Beide Stahlriesen mit einem Gewicht von 960 bzw. 1220 Tonnen waren mit je 26 bzw. 29 Jahren Betriebszeit noch verhältnismäßig unverbraucht und auf Grund ihrer Raupenfahrweise für eine „Wandertour“ bestens ausgerüstet.

Das veranlasste die Verantwortlichen in Harbke und Nachterstedt zu dem Entschluss, die beiden Geräte, wie jene in den Jahren zuvor (siehe Teil 1 und 2), per Landtransport auf der bekannten Trasse von Harbke nach Nachterstedt zu transportieren.

Im August 1989 fiel der Startschuss !
Für die Lenkung und Leitung des Transportes zeichnete sich der Nachterstedter HANS KOTLARES, der die Erfahrung aus den beiden vorhergehenden Transporten mitbrachte. Kameradschaftlich aber auch respektvoll „Hansi“ von seinen Mitstreitern genannt, koordinierte er die vielseitigen Arbeiten, die die Geräte mit einer durchschnittlichen zurückgelegten Strecke von 3.000 Metern jeden Tag dem Ziel in Nachterstedt ein Stück näher brachten.

Als beide Geräte am 01. Oktober 1989 den Reparaturplatz in Nachterstedt erreicht hatten, war der Fahrplan nicht nur dieses Geräteverbandes, sondern der des gesamten Transportverhaltens mit insgesamt 5 Tagebaugroßgeräten mit Bravour gemeistert worden.

Mit dem „Ausverkauf“ des ehemaligen Geräteparks wurde auch das Buch der 80-jährigen Harbker Bergbaugeschichte zugeschlagen, die in Verbindung mit der Stromerzeugung im Harbker Kraftwerk eine für die Wirtschaft des Landes nicht unbedeutende Rolle spielte.

Wenn künftig auch nur noch ein großer Freizeit- und Badesee und eine sanierte Aschehalde übrig geblieben sind, sollten wir uns doch immer dieser Traditionen, die einest unsere Region prägten, mit Stolz und Dankbarkeit erinnern.


GLÜCK AUF !

Rudolf und Roland Rohr
Harbke





Foto:
Aufnahme Rudolf Rohr

„Meter für Meter wälzt sich der Baggerriese 310 im „Schongang“ über die abgeernteten Ackerflächen, um dem vorrausfahrenden Schaufelradbagger 1433 zu folgen“

Dienstag, 30. August 2016

GROSSGERÄTE-TRANSPORT (2)



MIT ÜBER 6.000 TONNEN STAHL QUER DURCH DIE BÖRDE

Teil 2


„Ein Absetzer kehrt in seine alte Heimat zurück“



Im Sommer 1988 hatte auch der Absetzer 984 A2S 1100, ein weiterer Tagebauriese, seine Schuldigkeit getan..

Dieses Stahlmonster mit einem Gewicht von 848 Tonnen war in den Jahren 1941/42 von der Buckauer Maschinen AG Magdeburg im Tagebau Nachterstedt, der zur damaligen Solvag AG Bernburg gehörte, aufgebaut und dort bis zum Jahre 1955 im Einsatz.

Im Zuge der Aufrüstung des Geräteparks und Erhöhung der Kippenkapazität im Tagebau Wulfersdorf fasste man 1955 den Entschluss, den Absetzer in Nachterstedt zu demontieren und Stück für Stück per Bahn und LKW nach Harbke zu transportieren und dort wieder auszubauen.

Nach einer Einsatzzeit hier von 33 Jahren war im Jahre 1988 nun die Zeit gekommen, die Reise wieder zurück in die alte Heimat anzutreten, da ein solcher Abstzer im dortigen Neuaufschluss, Tagebau Schadeleben, dringend benötigt wurde.

Unter teils erprobter und teils neuer Leitung des Nachterstedters Siegfried Damm und einer Crew Bergleute und Mechanikern aus beiden Werksteilen wurde auf die 4 Jahre vorher bewährte Art und Weise und auf der vorbereiteten Trasse (siehe Teil 1) das Gerät sicher und termingerecht über die 70 Kilometer lange Strecke „zu Fuß“ nach Nachterstedt transportiert.

Was am 05. September 1988 in Harbke begann, wurde am 15. Februar 1989 abgeschlossen; denn da stand der Absetzer bereits auf dem Reparaturplatz in Nachterstedt, wo er einer grundhaften Instandsetzung unterzogen wurde. Nach einer vierwöchigen Überholung konnte das Gerät an seinem neuen Einsatzort, auf der damaligen Kippe 1074 im 2-Abraum-Schnitt des Tagebaus Schadeleben seinen Regelbetrieb aufnehmen.

Den in zwei Schichten tätigen Transportkolonnen, Gerätebesatzungen und übrigen Beteiligten war es gelungen, mit Fleiß und Umsicht und einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 600 Metern am Tage, den stählernen Koloss auf Gleisen über Stock und Stein „nach Hause“ zu bringen.

Mit seinem Einsatz hier bis zum Jahr e1993 verrichtete der Tagebauriese sage und schreibe ein halbes Jahrhundert eine zu jeder Zeit zuverlässige Arbeit in 2 Tagebauen.

Dafür gebührt heute noch nachträglich Dank und Anerkennung den Erbauern aus Magdeburg sowie den Betreibern und Instandsetzern aus Harbke und Nachterstedt, die den Absetzer über den gesamten Zeitraum zu einem stabilen Kippengerät machten und nicht zuletzt all denen, die es sicher und ohne Havarien übe reine derart lange Entfernung transportierten.


Rudolf und Roland Rohr
Harbke





Für die freundliche Überlassung
von Bild- und Textmaterial ein
herzliches Dankeschön an den
Nachterstedter Klaus Funke




Die 3. und letzte Folge erscheint in einer der nächsten Ausgaben des Obere Aller Reports.




Anlage :
Foto (Aufnahme: R. Rohr, Harbke)
Egal, ob wie hier in Harbke oder dann wieder in Nachterstedt – der Absetzer 984 war in allen Tagebauen kippenseitig das zuverlässigste Gerät.



Sonntag, 17. Juli 2016

GROSSGERÄTE-TRANSPORT (1)


Vor 32 Jahren ging es...

„mit über 6000 Tonnen Stahl quer durch die Börde!“

Tagebau-Großgeräte-Transport von Harbke nach Nachterstedt

Teil 1




Spätestens nach der Gewinnung des Grenzkohlepfeilers und der Restkohle aus dem Muldentieftsten war das Ende der 80jährigen Geschichte des Tagebaues Wulfersdorf bei Harbke besiegelt.

Der Raubbau der Braunkohle des Grenzpfeilers zur schnelleren Abwicklung der zwar wirtschaftlich wichtigen, politisch aber riskanten und historisch einmaligen Maßnahme bei offener Grenze, führte zur vorzeitigen Erschöpfung der Kohlenvorräte im Jahre 1989.

Das bedeutete für die Bagger und Absetzer des Tagebaues und deren Besatzungen eine zwar vorhersehbare, aber dennoch schmerzliche Tatsache, hier in Harbke nicht mehr gebraucht zu werden.

Für die Großgeräte Bagger 1420 und Absetzer 1074, deren Aufgabe es war, den Abraum zu gewinnen, war jedoch bereits 5 Jahre früher dieser Zeitpunkt erreicht.

Wohin aber nun mit den beiden riesigen Stahlmonstern, auf die in den vielen Jahren ihres Einsatzes in Harbke immer Verlass war und die gewährleisteten, dass die Versorgung von Industrie und Bevölkerung mit festen Brennstoffen immer klappte?

VERSCHROTTEN???
Nein, dazu waren Bagger und Absetzer mit Baujahren zwischen 1957 und 1961 noch zu unverbraucht. Da schien ein Einsatz im Tagebau Schadeleben bei Nachterstedt viel sinnvoller, da eben dort diese Geräte für den Aufschluss benötigt wurden.

Doch da gab es eine entscheidende Tatsache, die diesem Vorhaben entgegenstand und den Verantwortlichen große Kopfschmerzen bereitete. Zwischen Harbke und Nachterstedt lagen rund 70 Kilometer Entfernung, die es zu bewältigen galt.

Als eine mögliche Variante hätte man die Geräte in Harbke demontieren, per Bahn oder LKW nach Nachterstedt transportieren und dort wieder montieren können, was aber aus zeitlichen wie ökonomischen Gründen rasch verworfen werden musste.

Also entschied man sich für den Transport der Geräte „zu Fuß“, d.h. mit Hilfe der eigenen Fahrwerke.
Solcherlei Transporte sind in einem Tagebau zwar keine Seltenheit, beschränken sich jedoch auf kurze Entfernungen und ohne große Steigungen und Hindernisse.
Der zur Disposition stehende Landtransport war jedoch um ein Vielfaches länger und gespickt mit Hindernisse, wie Straßen, Bahngleise, Gräben und Flüssen.

Doch die Harbker Bergleute wären keine Bergleute, wenn sie vor einem solchen Vorhaben kapituliert hätten.

Nach Abwicklung aller notwendigen Vorbereitungen, wie die Klärung der Geländedurchfahrten mit der Land- und Forstwirtschaft, Terminabsprachen mit Polizei und Reichsbahn sowie einer gründlichen Reparatur der Geräte, erfolgte am 01. August 1984 der erste von zwei Transporten mit je zwei Tagebaugeräten, die mit der Ankunft in Nachterstedt erfolgreich beendet werden konnten.

Unter der Stabführung des Harbker Bergbauingenieurs Rolf Siegel steuerte ein ausgesuchtes Team erfahrener Bergleute und Mechaniker, begleitet von einem Tross an Versorgungs- und Unterkunftswagen sowie diverser Hilfsgeräte den Schaufelradbagger 1420 und den Absetzer 1074 über eine eigens dafür angelegte Rampe aus dem Tagebau.

Während der Bagger mit einem Dienstgewicht von 1963 Tonnen sich mittels seinen riesigen Raupenfahrwerken kontinuierlich vorwärts bewegte, mussten beim schienengebundenen Absetzer (Dienstgewicht 1130 Tonnen) die Gleisroste laufend hinter dem Gerät abgebaut und vor dem Gerät wieder montiert werden.

Für den nötigen Abtriebstrom sorgten dabei ein mitfahrendes großes Dieselaggregat und weitere Notstromaggregate. Außerdem waren 4 Planierraupen, 4 Zugmaschinen, 3 Raupendrehkräne, 3 LKW’s sowie Tankanhänger und Küchenwagen im Einsatz.

Nach Erreichend er Oberkante des Harbker Tagebaus musste erst die Kohlebahn Harbke-Brikettfabrik Völpke und danach die Straße zwischen Harbke und Sommersdorf überquert werden. Dabei war vor allem ein ausreichendes Abdecken der Gleise und der Straße von Nöten, um beim Überfahren keine Schäden zu verursachen.

Mit großer Anteilnahme der Bevölkerung überfuhren dann beide Großgeräte das Wirbketal und den Bachlauf, der vorher vorsorglich verrohrt und mit Erde abgedeckt war.

In der Folge musste abgeerntete Felder und ausgeholzte Waldstücke des Lappwaldes und des Hohen Holzes überquert werden, bevor auf die Crew des Transportes mit der Reichsbahn- und Bodeüberquerung bei Hadmersleben eine besondere Herausforderung wartete.

In Abstimmung mit der Reichsbahn konnten die Gleisanlagen der Strecke Magdeburg – Halberstadt ohne jegliche Beeinträchtigung des Zugverkehrs passiert werden.

Eine Baustelle der besonderen Art bedeutete das Überfahren der Bode. Unter den Augen vieler Zuschauer befuhren im Schneckentempo die beiden Tagebauriesen den aufgeschütteten Damm, der mit Betonröhren versehen war, durch die die Bode ohne jeden Stau fließen konnte.

Diesem Ereignis wohnten auch ehemalige Mitarbeiter des Braunkohlenwerkes bei, die diese Gelegenheit wahrnahmen, um sich im Kreise alter Bergbau-Veteranen auszutauschen.

Nach erfolgreicher Bewältigung dieser Hindernisse war das Überfahren der heutigen Bundesstraße 81 bei Kroppenstedt und des Petersholzes sowie die Hakelabfahrt bei Hakeborn eine der inzwischen zur Gewohnheit gewordenen Arbeiten.

Ständiger Begleiter des Transportes war übrigens ein sogenanntes „KIELSCHWEIN“ namens „Ottilie vom Lande“. Das als Ferkel mit einem Gewicht von 53 kg von Badeleben bis Nachterstedt mitgereiste Borstentier galt als besonders faul und gefräßig und vertilgte während des gesamten Transportes alles, was von der Belegschaftsverpflegung übrig blieb. Am Schluss der Fahrt hatte es das nötige Gewicht, um in Form von Fleisch und Wurst anlässlich eines zünftigen Schlachtfestes verspeist zu werden.

Am 23. November 1984 erreichten 17 Tage vor dem geplanten Ablauf der Frist beide Geräte ihren künftigen Arbeitsplatz, den Tagebau Schadeleben bei Nachterstedt.

Dabei sei noch bemerkt, dass der Transport ohne einen meldepflichtigen Unfall und ohne Havarien verlief.

Anmerkung:
Mehr zur Vorbereitung und Durchführung des Gerätetransportes anhand umfangreichen Bildmaterials kann der Broschüre „Geschichte(n) in uns um Harbke herum“ 13. Teil, des Arbeitskreises Tourismus und Ortsentwicklung Harbke entnommen werden.

In einer der nächsten Ausgaben des Oberer Aller Reports wird der Transport der übrigen Geräte Bagger 1433, Bagger 310 und Absetzer 984 beschrieben.



Rudolf und Roland Rohr





Foto:
Archiv BKW Nachterstedt

Unbeschadet absolvierte der Schaufelradbagger „zu Fuß“ die Strecke von Harbke bis Nachterstedt (70 km) um im dortigen Tagebau Schadeleben wieder von in Einsatz zu kommen.


Sonntag, 21. Februar 2016

Straßenbahn in Harbke

Vor 40 Jahren hieß es in Harbke:

„VORSICHT AN DER BAHNSTEIGKANTE...
die Straßenbahn in Richtung Absetzer fährt ein!“


Bekanntlich hatte der kleine Grenzort Harbke 1954/55 einen Reichsbahn-Personenzug-Anschluss nach Marienborn mit einem Bahnhof am Kraftwerk-

Aber eine Straßenbahn?
Zugegeben, gab der Bauboom in den 50er Jahren mit Kulturhaus, Betriebsambulatorium und Verkaufszeile im Zentrum des Ortes sowie einem großangelegten Wohnungsbau der Gemeinde einen Hauch von städtischem Charakter – aber eine Straßenbahn?

Tatsächlich sorgte eine pfiffige Idee aus den Reihen der Harbker Tagebaubelegschaft dafür, dass sich die Betriebsführung 1976 entschloss, einen ausgedienten Straßenbahn-Triebwagen von den Halberstädter Verkehrsbetrieben zu beschaffen und für einen Personentransport im hiesigen Braunkohlentagebau einzusetzen.

Grundgedanke war die schnelle und bequeme Bewältigung der langen Anmarschwege der Geräte-, Gleis- und Kippenbesatzungen zu ihren Einsatzorten. Diese lagen oft mehrere Kilometer vom Werkseingang entfernt und konnten bisher nur zu Fuß über steile Treppenanlagen und unwegsame Trampelpfade erreicht werden.
Ein Mitfahren auf den E-Loks der Abraum- und Kohlezüge war allgemein verboten. Darüber hinaus ließ die Lage des Tagebaus unmittelbar an der Grenze zur BRD es nicht zu, Fahrstraßen für andere Personentransportmittel, wie Busse oder LKW’s mit Pritsche einzurichten. Im Gegensatz zu den übrigen Tagebauen hatte Harbke hierbei den Status einer besonderen Sicherheit.

Mit der Beschaffung und dem Umbau des Straßenbahnwagens, dem übrigens 1 Jahr später ein zweiter folgte, ging ein lang gehegter Wunsch der Schichtbelegschaften in Erfüllung, jederzeit und rechtzeitig, bequem und bei jeder Witterung Bagger und Absetzer sowie Strossenunterkünfte zu erreichen.

Um das zu verwirklichen wurden die beschafften Triebwagen auf jeweils zwei Drehgestelle der Spurweite 900 mm gesetzt und mit einem speziellen Bremssystem ausgerüstet. Auch die Fahrzeuginnen- und Außenbeleuchtung sowie die Zugvorrichtungen wurden geändert. Als Zugmittel diente eine E-Lok, die sonst die Kohle- und Abraumwagen beförderte.
Bei den Personentransporten musste ein Zugbegleiter als Verantwortlicher dabei sein, der als äußeres Kennzeichen eine rote Schärpe trug.

Nach Beantragung aller erforderlichen bergbaubehördlichen Genehmigungen konnte am 20. September 1976 die erste Probefahrt ohne Beanstandungen stattfinden.
Anfangs belächelt, besaß ab jetzt der Tagebau ein 30 Personen fassendes Transportfahrzeug, dass die Wegezeiten wesentlich verkürzte.

Diese Form des Personentransports, die auch die Bezeichnung „E-Lok mit angehängtem Straßenbahnwagen“ erhielt, entwickelte sich recht positiv, auch wenn man aus Sicherheitsgründen während der Transportfahrten den übrigen Werkbahnbetrieb innerhalb der jeweiligen Abschnitte ruhen lassen musste.

Mitte 1977 wurde der zweite Triebwagen von Halberstadt erworben und in den Harbker Werkstätten umgebaut, damit auch Reparaturkolonnen und Gleisunterhaltungsbrigaden zu ihren Einsatzorten gebracht werden konnten.
Ein Fahrplan sorgte für den reibungslosen Hin- und Rücktransport und provisorische Bahnsteige auf der Rasensohle und den Absetzer- bzw. Baggerstrossen für eingefahrloses Ein- und Aussteigen.

Der so inzwischen zur Gewohnheit gewordene Personentransport konnte bis Ende 1985 aufrecht erhalten werden.
Das Auslaufen des Tagebaues (Erschöpfung der Kohlevorräte) bis zum Jahre 1989 bedeutete auch das Ende dieses außergewöhnlichen Personentransportes.

Während der eine Wagen zwischenzeitlich als mobiles Stellwerk genutzt wurde, sollte auf den zweiten noch eine unerwartete letzte Fahrt warten.

Einer Gruppe von Straßenbahnfreunden aus Leipzig und Halberstadt war diese abenteuerliche Form der Personenbeförderung zu Ohren gekommen. In gegenseitiger Absprache mit dem Braunkohlenwerk konnte am 16. März 1991 noch eine letzte Fahrt mit E-Lok und Straßenbahnwagen zwischen dem Tagebau und der Brikettfabrik Völpke organisiert werden, die bei den Gästen große Begeisterung hervorrief. In einem Artikel des STRASSENBAHN-MAGAZINS Nahverkehr 4/2004 beschrieben sie, welche Eindrücke die Fahrt an sich und das Befahren und Besichtigen der Umgebung mit ehemaligen Grenzzäunen, Sperranlagen und verlassenen Wachtürmen bei ihnen hinterlassen hat.


Rudolf und Roland Rohr
Harbke



Foto:
Fast 10 Jahre lang fand dieses Gespann im Tagebau Wulfersdorf bei Harbke als Personentransportmittel Verwendung

Foto: Jens Karkuschke

Donnerstag, 15. Oktober 2015

Kunstradfahrer Paul Z'dun (1904-1981)

Er beherrschte einst das mit 7,5 Metern höchste Einrad der Welt!
Paul Z’dun, alias Paul Doon, Kunstradfahrer aus Harbke

Als Paul Z’dun am 15.06.1904 geboren wurde, ahnte noch keiner, dass dieser Harbker Junge 25 Jahre später in Varietees und Zirkusarenen in fast ganz Europa als komischer Kunstradfahrer auftreten würde, der sein Publikum zu wahren Beifallsstürmen und Lachsalven hinreißt.
Auf dem ehemaligen Harbker Rittergut als Schmied ausgebildet, entdeckte Z’dun bald sein Geschick, nicht nur mit dem Fahrrad zu fahren, sondern auch damit allerlei Kunststücke aufzuführen.
Als Mitglied des Harbker Radfahrvereins macht er sich in der gesamten Region bald einen Namen und kam dort zu Meisterehren.
Sein Hobby zum Beruf machend, trat er zunächst mit einer Künstlergruppe und später allein, meist im Zirkus auf. Seine Gastspiele führten ihn in fast alle europäischen Länder. Es gab in den Jahren 1936 bis 1945 in Deutschland fast kein Varietee und Zirkus, auf dessen Programm der Auftritt Z’duns nicht angekündigt wurde.
Die Presse war des Lobes voll, wie ein Auftritt im Olympia-Theater Dortmund 1936 beispielsweise beschrieben wurde:
„Paul Doon taucht als Trunkenbold auf dem Fahrrad auf. Das ist zum Brüllen. Aber was dieser, schwer angesäuselte Herr auf seinem Fahrrad fertig bringt, das ist Radfahrkunst erster Klasse. Er nimmt während der Fahrt das ganze Rad auseinander und fährt schließlich nur noch auf Bruchstücken dieses Rades. Toll! Schließlich gondelt er auf einem großen Autorad auf der Bühne herum. Weiß der Kuckuck, wie er das macht!?“

In dieser Auftrittszeit beherrschte Paul Doon das damals mit 7,50 Metern höchste Einrad der Welt.
Ein Einsatz in Amerika blieb ihm verwehrt, da ein Teil des Zirkus Sarrasani, mit dem er auftreten sollte, während der Überfahrt verunglückte.

Paul Doon’s hervorragenden artistischen Leistungen ermöglichten ihm noch Auftritte im Jahre 1958 im damaligen kapitalistischen Ausland.
Er war bis 1961 in seinem künstlerischen Beruf tätig und führte danach bis zu seinem Rentenalter 1969 mit seiner Gattin Pauline eine Konsumgaststätte.
Paul Z’dun verstarb am 26.06.1981 in einem Pflegeheim in Dahlem bei Görzke und hinterließ 2 Söhne, Günther Georg und Axel Gerd Z’dun.

Dem Andenken des weltweit anerkannten Künstlers Paul Z’dun, alias Paul Doon, ist in den Harbker Museumsstuben im „Grauen Hof“ ein Extra-Standort gewidmet, der viele Exponate aus seinem Nachlass enthält und auf Plakaten und Werbeblättern alle Stationen seiner künstlerischen Auftritte dokumentieren.


Harbke im Oktober 2015
Rudolf und Roland Rohr



Foto: Roland Rohr (Archiv)
-         Paul Doon als Unikum auf dem Fahrrad



Donnerstag, 30. Juli 2015

Johann Philipp Du Roi

Johann Philipp Du Roi
(1741 – 1785)

Seine „Wilde Baumzucht“ machte den Harbker Schlosspark berühmt.

Mit der Person J. P. Du Roi sind im Harbker Jubiläumsjahr 2015 gleich zwei weitere Jubiläen verbunden.
Vor exakt 250 Jahren kam er nach Harbke, um die Veltheimschen Baumkulturen zu beaufsichtigen und am 08. Dezember 1785 verstarb er mit 44 Jahren in Braunschweig.

Doch der Reihe nach:

Johann Philipp Du Roi wurde 1741 in Braunschweig als Sohn des Askanius Christoph Du Roi, Justitiar sämtlicher herrschaftlicher Fabriken, geboren.
Nach dem Besuch des Catharinen Gymnasiums und Collegium Carolinius in Braunschweig bezog er, neunzehnjährig, die Akademie zu Helmstedt und studierte unter den Professoren Hartmann und Beireis Medizin. (Abb.1)
Doch seine eigentliche Neigung galt der Botanik. Unter Professor Fabricius widmete er sich intensiv dieser Lieblingswissenschaft.

Im benachbarten Harbke hatte der dortige Gutsherr Friedrich August von Veltheim (1709 – 1775) mit der Einbürgerung ausländischer Holzarten eine für Deutschland einmalige Anlage entstehen lassen, die in der Folgezeit unter der Bedingung zunehmender Holzknappheit, für die Forstwirtschaft auf hohes volkswirtschaftliches Interesse stieß. F. A. v. Veltheim besaß hervorragende Kenntnisse und Fähigkeiten auf forstlichem Gebiet und hatte sich Verdienste, besonders um die Kultivierung und Nutzbarmachung von bis dahin in Europa nicht gebräuchlichen Holzarten, erworben.
Seine Bemühungen, unter der Anleitung bekannter Planer und Gartengestalter, den Harbker Schlosspark mit seltenen, aus aller Herren Länder stammenden Bäumen und Sträuchern zu gestalten, sind noch heute am Bestand uralter Gehölze im gepflegten Harbker Schlosspark zu bewundern, darunter ein riesiger, über 200 Jahre alter Tulpenbaum. (Abb.2)
Es ist wohl einem glücklichen Zufall zu verdanken, dass dem botanisch heiß interessierten Du Roi die botanische Aufsicht der Harbker Anlagen angeboten wurde, die er auf Anraten seines Professors 1765 auch annahm.
Seinen 5jährigen Aufenthalt in Harbke bezeichnete Du Roi als glücklichste Periode seines Lebens. Zum einen war er von den geschmackvollen Anlagen und der schönen Natur begeistert, die der Neigung zu seiner Lieblingswissenschaft, der Botanik, neue Nahrung gab. Andererseits empfand er die Herzlichkeit der Gutsfamilie und die zahlreichen Begegnungen besonders wohltuend und nützlich.
In der Zeit seines Harbker Aufenthaltes verfasste er sein 2-bändiges Buch „Die Harbke’sche wilde Baumzucht“. (Abb.2)
Das Werk gilt heute noch als Klassiker der Dendrologie und enthält neben einer 95 Gattungen umfassenden Liste der angebauten Gewächse, Mitteilungen über Motive und Methoden der Harbker Pionierpflanzungen.
Der Mediziner J. F. Pott, der die „Wilde Baumzucht“ als zweite, ergänzte Auflage herausbrachte, betonte die Bedeutung Du Roi’s im Nachruf: „An dem verdienten Ruhme, den diese Anlage in der Folge erhalten hat, hat er (Du Roi) durch seine kenntnisvollen Bemühungen dabei einen großen Anteil.“
Trotz der Liebe zur Botanik galt Du Roi’s Berufung der praktischen Anwendung seiner medizinischen Kenntnisse.
Das bewog ihn, im Jahre 1771 in Helmstedt den Doktortitel in Medizin zu erwerben und in Braunschweig als ausübender Arzt tätig zu werden. 1772 zum zweiten Garnisions-Medicus, 1781 zum Assessor des Obersanitäts-Collegiums und zum Stadtphysikus ernannt, praktizierte er schließlich als Arzt in einem Braunschweiger Waisenhaus.

Aus seiner Ehe mit der Tochter des Leibmediziners Brückmann gingen 5 Kinder hervor, von denen jedoch nur 3 Söhne überlebten.

 Am 08. Dezember 1785, bei bester Gesundheit und im blühenden Alter von 44 Jahren, verstarb J. P. Du Roi nach kurzem Krankenhausaufenthalt.
Ein in Braunschweig grassierendes Faulfiber riss ihn mitten aus seinem Berufe, dem er sein ganzes Leben zum Wohle der Menschheit gewidmet hatte.

Beerdigt wurde er auf dem Domplatz der Domgemeinde vor dem Steintor. Sein Grab umzäunten 4 ausländische Bäume aus der Harbke’schen Pflanzung.
Der Herzog Ferdinand von Braunschweig, der Du Roi als einen aufrichtigen Freund bezeichnete, widmete sein Andenken an einem Denkmal in seinem Garten in Vechelde mit einen in Stein gehauenen und auf einem Postament stehenden Aschenkrug.

Im Harbker Schlosspark erinnert ein Stein mit Inschrift an die Verdienste Du Roi’s, die er sich durch seine kenntnisreichen Bemühungen zum Ruhme der Harbker Anlage erworben hat.


Rudolf und Roland Rohr




Abb.1
Standbild Du Roi’s

Abb.2
Titelseite der 2-bändigen „Harbke’schen wilden Baumzucht“;
die in der Harbker Museumsstube eingesehen werden kann

Abb.3
Partie im Harbker Schlosspark mit einem Tulpenbaum, der bereits zu Lebzeiten Du Roi’s dort stand



Quellen:
-         J. F. Pott „Harbke’sche wilde Baumzucht“
2. erweiterte Auflage

-         Rudolf Kirsch,
Frühe Landschaftsgärten im niedersächsischen Raum

-         Marcus Köhler,
Die frühen Landschaftsgärten von Harbke und Schwöbber








Samstag, 30. Mai 2015

HARBKE „LAND UNTER!“ (2)


Hochwasserkatastrophe im Juli 1955
-Teil 2-
Die Situation im Tagebau
„Wasser ist der größte Feind des Bergbaus!“
Diese Behauptung stammt aus der Zeit der Kohlegewinnung in untertägigen Bergwerken und wurde auch in Harbke Bergleuten zum Verhängnis.
Ein Tagebau sorgt zwar durch mittels Pumpen betriebene Wasserhaltungen, Entwässerungsgräben und Filterbrunnen für eine möglichst geringe negative Beeinflussung der Grund- und Oberflächenwässer auf die bergbaulichen Arbeiten, kann sich jedoch vor plötzlichen und mächtigen Unwetterkatastrophen mit großen Regenmengen auch nicht schützen.
Das Unwetter in der Nacht vom 29. zum 30. Juli 1955 traf deshalb den am Harbker Ortsrand liegenden Tagebau Wulfersdorf mit voller Wucht.
Bereits gegen 21:00 Uhr musste der gesamte Abraum- und Grubenbetrieb eingestellt werden. Ca. 40 m³/min an Wassermassen waren aus dem gebrochenen Mühlenbach in den Tagebau gestürzt und hatten die Zufahrten zu den Baggern und Absetzern so stark unterspült, dass ein Befahren unmöglich geworden war.
Die Gleisanlagen auf den Rampen waren nach Unterspülungen und angeschwemmten Erdmassen unbrauchbar geworden. Die in den Tagebau geflossenen Wassermengen hinterließen in den Böschungen große Ausbrüche und bildeten im Muldentiefsten einen großen See.
Auch an der Ostseite des Tagebaus brach der Mühlenbach auf einer Länge von 6 Metern. Die schmutzgrauen Fluten ergossen sich auf das nebenliegende Bruchgelände und hinterließen einen großen See. Von den auf dem Gelände befindlichen Schrebergärten waren nur noch die Baumkronen zu sehen.
Dem Hilferuf folgend, eilten 400 Helfer zur Durchbruchstelle und schlossen, mit Hacken, Schaufeln und Spaten bewaffnet, den gebrochenen Damm. Noch am gleichen Tage gingen an dieser Stelle 5.000 m³ des Geländes zu Bruch und 10.000 m³ Wasser ergossen sich in die alten darunter liegenden Grubenbaue. Dabei rissen sie Zäune, Lauben und Kleinvieh mit sich und hinterließen einen riesigen Trichter.
Mit der Soforteinleitung einer Reihe notwendiger Maßnahmen konnten die im Tagebau aufgetretenen erheblichen Schäden schnell behoben werden.
Gleichzeitig wurden Voraussetzungen geschaffen, die der Vorbereitung auf evtl. ähnliche extreme Unwetter diensten.
Da der Mühlenbach in seinem Verlauf auch BRD-Gebiet passierte, war es notwendig, sich mit den Braunschweigischen Kohlenbergwerken (BKB) abzustimmen, was auch mit sofortiger Hilfe beantwortet wurde.
Am 02. August 1955 konnte bereits wieder der Grubenbetrieb in beschränktem Umfang aufgenommen werden. Der erste Abraum wurde einen Tag früher gebaggert und diente ausschließlich der Wiederherstellung der Zufahrten.
An dem Erfolg der Maßnahmen hatten gleichermaßen die Einheiten der Deutschen Grenzpolizei, der Freiwilligen Feuerwehr sowie der Belegschaften von Tagebau, Verwaltung und Brikettfabrik großen Anteil.
Seit der Unwetterkatastrophe vor 60 Jahren ist es nur hin und wieder zu ähnlichen Situationen gekommen, die aber in wesentlich abgeschwächter Form auftraten. Dank vorbereiteter Maßnahmen und sofortigem Einschreiten richteten sie keine nennenswerten Schäden an.
Dennoch sollten seitens der Wasserbehörden und des Nachfolgeunternehmens des Braunkohlewerkes Harbke, der LMBV, solche Unwetter mit einkalkuliert werden, wenn es um die endgültige Gestaltung der Wasserabführung über den Mühlenbach geht.
So sollten vor allem bei der Öffnung des südlichen Bachlaufes und erforderlicher Dammdurchlässe im Planfeststellungsverfahren entsprechende Durchlässe berücksichtigt werden, die den Ort Harbke und das künftige Naherholungsgebiet Lappwaldsee vor Schäden bewahren.
Quellen:
  1. Kurzer Abriss der Unwetterkatastrophe in der Nacht vom 29.07. – 30.07.1955, Projektbüro Kohle Berlin (1955)
  2. „Volksstimme“, Harbke im Wandel der Zeiten, Ammann (1955)
Foto Tagebau:
- Einer der Ausbrüche, die die Gleisanlage zur Grube unbefahrbar machte