Vor 32 Jahren ging es...
„mit über 6000 Tonnen Stahl quer durch die Börde!“
Tagebau-Großgeräte-Transport von Harbke
nach Nachterstedt
Spätestens
nach der Gewinnung des Grenzkohlepfeilers und der Restkohle aus dem
Muldentieftsten war das Ende der 80jährigen Geschichte des Tagebaues
Wulfersdorf bei Harbke besiegelt.
Der
Raubbau der Braunkohle des Grenzpfeilers zur schnelleren Abwicklung der zwar
wirtschaftlich wichtigen, politisch aber riskanten und historisch einmaligen
Maßnahme bei offener Grenze, führte zur vorzeitigen Erschöpfung der
Kohlenvorräte im Jahre 1989.
Das
bedeutete für die Bagger und Absetzer des Tagebaues und deren Besatzungen eine
zwar vorhersehbare, aber dennoch schmerzliche Tatsache, hier in Harbke nicht
mehr gebraucht zu werden.
Für
die Großgeräte Bagger 1420 und Absetzer 1074, deren Aufgabe es war, den Abraum
zu gewinnen, war jedoch bereits 5 Jahre früher dieser Zeitpunkt erreicht.
Wohin
aber nun mit den beiden riesigen Stahlmonstern, auf die in den vielen Jahren
ihres Einsatzes in Harbke immer Verlass war und die gewährleisteten, dass die
Versorgung von Industrie und Bevölkerung mit festen Brennstoffen immer klappte?
VERSCHROTTEN???
Nein,
dazu waren Bagger und Absetzer mit Baujahren zwischen 1957 und 1961 noch zu
unverbraucht. Da schien ein Einsatz im Tagebau Schadeleben bei Nachterstedt
viel sinnvoller, da eben dort diese Geräte für den Aufschluss benötigt wurden.
Doch
da gab es eine entscheidende Tatsache, die diesem Vorhaben entgegenstand und
den Verantwortlichen große Kopfschmerzen bereitete. Zwischen Harbke und
Nachterstedt lagen rund 70 Kilometer Entfernung, die es zu bewältigen galt.
Als
eine mögliche Variante hätte man die Geräte in Harbke demontieren, per Bahn
oder LKW nach Nachterstedt transportieren und dort wieder montieren können, was
aber aus zeitlichen wie ökonomischen Gründen rasch verworfen werden musste.
Also
entschied man sich für den Transport der Geräte „zu Fuß“, d.h. mit Hilfe der
eigenen Fahrwerke.
Solcherlei
Transporte sind in einem Tagebau zwar keine Seltenheit, beschränken sich jedoch
auf kurze Entfernungen und ohne große Steigungen und Hindernisse.
Der
zur Disposition stehende Landtransport war jedoch um ein Vielfaches länger und
gespickt mit Hindernisse, wie Straßen, Bahngleise, Gräben und Flüssen.
Doch
die Harbker Bergleute wären keine Bergleute, wenn sie vor einem solchen
Vorhaben kapituliert hätten.
Nach
Abwicklung aller notwendigen Vorbereitungen, wie die Klärung der
Geländedurchfahrten mit der Land- und Forstwirtschaft, Terminabsprachen mit
Polizei und Reichsbahn sowie einer gründlichen Reparatur der Geräte, erfolgte
am 01. August 1984 der erste von zwei Transporten mit je zwei Tagebaugeräten,
die mit der Ankunft in Nachterstedt erfolgreich beendet werden konnten.
Unter
der Stabführung des Harbker Bergbauingenieurs Rolf Siegel steuerte ein ausgesuchtes Team erfahrener Bergleute
und Mechaniker, begleitet von einem Tross an Versorgungs- und Unterkunftswagen
sowie diverser Hilfsgeräte den Schaufelradbagger 1420 und den Absetzer 1074
über eine eigens dafür angelegte Rampe aus dem Tagebau.
Während
der Bagger mit einem Dienstgewicht von 1963 Tonnen sich mittels seinen riesigen
Raupenfahrwerken kontinuierlich vorwärts bewegte, mussten beim
schienengebundenen Absetzer (Dienstgewicht 1130 Tonnen) die Gleisroste laufend
hinter dem Gerät abgebaut und vor dem Gerät wieder montiert werden.
Für
den nötigen Abtriebstrom sorgten dabei ein mitfahrendes großes Dieselaggregat
und weitere Notstromaggregate. Außerdem waren 4 Planierraupen, 4 Zugmaschinen,
3 Raupendrehkräne, 3 LKW’s sowie Tankanhänger und Küchenwagen im Einsatz.
Nach
Erreichend er Oberkante des Harbker Tagebaus musste erst die Kohlebahn
Harbke-Brikettfabrik Völpke und danach die Straße zwischen Harbke und
Sommersdorf überquert werden. Dabei war vor allem ein ausreichendes Abdecken
der Gleise und der Straße von Nöten, um beim Überfahren keine Schäden zu
verursachen.
Mit
großer Anteilnahme der Bevölkerung überfuhren dann beide Großgeräte das
Wirbketal und den Bachlauf, der vorher vorsorglich verrohrt und mit Erde
abgedeckt war.
In
der Folge musste abgeerntete Felder und ausgeholzte Waldstücke des Lappwaldes
und des Hohen Holzes überquert werden, bevor auf die Crew des Transportes mit
der Reichsbahn- und Bodeüberquerung bei Hadmersleben eine besondere
Herausforderung wartete.
In
Abstimmung mit der Reichsbahn konnten die Gleisanlagen der Strecke Magdeburg –
Halberstadt ohne jegliche Beeinträchtigung des Zugverkehrs passiert werden.
Eine
Baustelle der besonderen Art bedeutete das Überfahren der Bode. Unter den Augen
vieler Zuschauer befuhren im Schneckentempo die beiden Tagebauriesen den
aufgeschütteten Damm, der mit Betonröhren versehen war, durch die die Bode ohne
jeden Stau fließen konnte.
Diesem
Ereignis wohnten auch ehemalige Mitarbeiter des Braunkohlenwerkes bei, die
diese Gelegenheit wahrnahmen, um sich im Kreise alter Bergbau-Veteranen
auszutauschen.
Nach
erfolgreicher Bewältigung dieser Hindernisse war das Überfahren der heutigen
Bundesstraße 81 bei Kroppenstedt und des Petersholzes sowie die Hakelabfahrt
bei Hakeborn eine der inzwischen zur Gewohnheit gewordenen Arbeiten.
Ständiger
Begleiter des Transportes war übrigens ein sogenanntes „KIELSCHWEIN“ namens
„Ottilie vom Lande“. Das als Ferkel mit einem Gewicht von 53 kg von Badeleben
bis Nachterstedt mitgereiste Borstentier galt als besonders faul und gefräßig
und vertilgte während des gesamten Transportes alles, was von der
Belegschaftsverpflegung übrig blieb. Am Schluss der Fahrt hatte es das nötige
Gewicht, um in Form von Fleisch und Wurst anlässlich eines zünftigen
Schlachtfestes verspeist zu werden.
Am
23. November 1984 erreichten 17 Tage vor dem geplanten Ablauf der Frist beide
Geräte ihren künftigen Arbeitsplatz, den Tagebau Schadeleben bei Nachterstedt.
Dabei
sei noch bemerkt, dass der Transport ohne einen meldepflichtigen Unfall und
ohne Havarien verlief.
Anmerkung:
Mehr
zur Vorbereitung und Durchführung des Gerätetransportes anhand umfangreichen
Bildmaterials kann der Broschüre „Geschichte(n) in uns um Harbke herum“ 13. Teil, des Arbeitskreises Tourismus und Ortsentwicklung
Harbke entnommen werden.
In
einer der nächsten Ausgaben des Oberer Aller Reports wird der Transport der
übrigen Geräte Bagger 1433, Bagger 310 und Absetzer 984 beschrieben.
Rudolf
und Roland Rohr
Foto:
Archiv
BKW Nachterstedt
Unbeschadet absolvierte
der Schaufelradbagger „zu Fuß“ die Strecke von Harbke bis Nachterstedt (70 km)
um im dortigen Tagebau Schadeleben wieder von in Einsatz zu kommen.